Reto Branschi, Direktor/CEO im Interview

Im Wechselbad der Gefühle

«Niemand sollte fälschlicherweise das Gefühl bekommen, in Davos sei die Pandemie ausgebrochen. Dies war sehr heikel zu diesem Zeitpunkt.»

Reto Branschi, Direktor/CEO, über die «Spengler Cup»-Absage

Von der «Spengler Cup»-Absage bis hin zum Logiernächte-Rekord: ein Jahr der Gegensätze. Reto Branschi, Direktor/CEO, im Gespräch über ein turbulentes Geschäftsjahr.

Reto Branschi, wir befinden wir uns im Eisstadion Davos. Hier hätte im letzten Winter kurz vor Neujahr der «Spengler Cup» stattfinden sollen. Wie hast du die Absage erlebt?
Zunächst muss ich etwas korrigieren: Das hier ist nicht nur ein Eisstadion, sondern das schönste Eisstadion der Welt (lacht). Die Absage war ein Tiefpunkt, 14 Tage zuvor wurde das WEF abgesagt. Ich konnte nicht begreifen, dass dies wirklich möglich ist. Und dann fingen die Telefonate an. Gefühlt mindestens 100. Für mich war die Kommunikation gegen aussen immer das Wichtigste. Niemand sollte fälschlicherweise das Gefühl bekommen, in Davos sei die Pandemie ausgebrochen. Dies war sehr heikel zu diesem Zeitpunkt.

Die ganze Kommunikation musste sehr kurzfristig ablaufen. Warst du zufrieden?
Sehr zufrieden. Der Landammann war dabei, der HCD und sogar der Kanton. Wir haben gemeinsam einen Weg für die Kommunikation gefunden. Dies war auch sehr wichtig für den Bund. 

Aus touristischer Sicht ist Davos mit einem blauen Auge davon gekommen, die Hotelzimmer blieben nicht ganz leer.
Das war tatsächlich ein Phänomen: Ein grosser Anteil der Zimmer war sehr schnell wieder gefüllt. Offenbar haben einige Gäste die Chance genutzt, die frei gewordenen Zimmer für sich zu buchen. 

Der «Spengler Cup» ist ein Turnier mit einer grossen Strahlkraft. Was bedeuten das Turnier und der HCD für die Destination Davos Klosters?
Der «Spengler Cup» ist ein Fest. Und ein intensives Sportgefühl, denn man bekommt hochwertiges Eishockey zu sehen. Schwer in Worte zu fassen. Ich glaube, den «Spengler Cup» muss man einfach erleben. Der HCD andererseits ist ein wichtiger Werbeträger für unsere Destination. Er ist rund zweimal die Woche in den Medien und damit verbunden auch immer der Name Davos. Ein Sympathieträger – auch über die Landesgrenzen hinaus.

«Es ist wichtig, dass das WEF wieder zurück nach Davos gekommen ist.
Dies war ein Zeichen – auch gegen aussen
und für unsere Leistungsträger.»

Die Pandemie war ein grosses Thema für die Destination, das Kongresswesen kam praktisch völlig zum Erliegen. Welche Auswirkungen hatte dies auf das Kongresszentrum?
Vor zwei Jahren fielen die Buchungen von 100 auf null. Es fanden nur noch einige wenige hybride Kongresse statt. Wir hatten aber das Glück, das Bündner Parlament bei uns willkommen zu heissen. Der «Grosse Rat» tagte dreimal in Davos. Am Ende gab es aber dennoch eine knallharte Ausgabenbremse – etwas anderes blieb uns nicht übrig. Wenn nichts mehr läuft und keine Einnahmen reinkommen, kann man nicht weiterhin Kosten generieren. Dies war sehr schwierig für uns. Die Situation hat sich aber verbessert durch das WEF im Mai. Und der Juni war wieder komplett ausgebucht. Wir hatten noch nie solch einen guten Juni. Dies hiess aber auch, dass wir von null wieder auf 100 rauffahren mussten. Und dies mit weniger Mitarbeitenden, da wir leider Personal abbauen mussten. Eine weitere Schwierigkeit war, dass gewisse Technik nicht mehr funktionierte, weil man sie so lange nicht mehr benutzt hatte. Davor war sie jahrelang störungsfrei im Einsatz.

Wie hast du wahrgenommen, dass das WEF vom Januar auf den Mai verschoben wurde?
Es ist wichtig, dass das WEF wieder zurück nach Davos gekommen ist. Dies war ein Zeichen – auch gegen aussen und für unsere Leistungsträger. Es war aber auch eine schwierige Ausgangslage für die Hotellerie. Im Mai ist hier in Davos Zwischensaison und die Mitarbeitenden haben Ferien. Diese zu rekrutieren, war nicht einfach. Andererseits war es weniger hektisch im Mai.

Es gibt Stimmen, die sagen, das WEF soll zukünftig immer in der Nebensaison im Mai stattfinden, statt mitten im Winter.
Ich kann diese Meinung nachvollziehen. Sicherheitstechnisch ist dies wohl nicht umsetzbar, da es im Mai viel aufwendiger ist. Zudem möchten die WEF-Organisatoren, dass der Anlass zu Beginn des Jahres stattfindet, denn dort werden jeweils Themen für das laufende Jahr für Politik und Unternehmen definiert. Ich glaube auch, dass es für die Hotels in Davos einfacher ist, da im Januar die Mitarbeitenden sowieso hier sind. 

Die Covid-Pandemie war letzten Winter vorherrschendes Thema. Was denkst du, haben wir sie überstanden?
Das ist wie Kaffeesatz lesen. Ich bin überzeugt, dass es Massnahmen geben wird. Aber ich bin auch überzeugt, dass diese in der Schweiz wieder gut eingehalten werden. Sofern das Virus nicht gefährlich mutiert, können wir dem in der Schweiz relativ gelassen entgegensehen. Deshalb glaube ich auch nicht, dass es in der Schweiz erneut Verbote geben wird. 

Ein verhältnismässig normaler Winter also?
Das ist zu hoffen, denn es gibt noch eine andere Krise.

«Ich spüre eine grosse Verunsicherung.
Gewisse Leistungsträger haben Existenzangst.»

Du meinst den Ukraine-Krieg. Der Tourismus ist von solchen Krisen immer unmittelbar betroffen. Welche Auswirkungen hat dies auf unsere Destination?
Ein Krieg löst Verunsicherung aus. Niemand weiss, was passieren wird. Mich überraschte, dass es auf unsere Gäste bislang keine direkten Auswirkungen hatte. Nichtsdestotrotz können wir alle nur hoffen, dass der Krieg bald vorbei ist. 

Europa und Länder in der Übersee machen sich auf eine Energiekrise gefasst. Mit welchen Gefühlen schaust du auf den Winter?
Es ist nur teilweise richtig, dass die Energiekrise wegen des Ukraine-Krieges entstanden ist. Diese war schon vor der Pandemie ein Thema. Unser Bündner Ständerat Martin Schmid hat das Thema mehrmals aufgenommen und angemerkt, dass es ganz schwierig werden könnte. Aber natürlich hat der Gaslieferstopp massive Auswirkungen und hat die ganze Situation verschärft. Ich gehe mit sehr gemischten Gefühlen in den Winter.

Was bereitet dir Sorgen?
Für die Schweiz alleine bin ich sehr zuversichtlich, denn ich glaube, dass wir es mit den vorgeschlagenen Massnahmen ohne allzu grosse Einschränkungen überstehen. Aber wir sind vom Ausland abhängig und wissen nicht genau, was das heisst und welche Auswirkungen dies für uns haben wird. Ich mache mir Sorgen um unsere Leistungsträger vor Ort. Sie sind heute mit massiven Kostenexplosionen konfrontiert. Dabei stellt sich die Frage, ob sie das Angebot überhaupt aufrechterhalten können. Ich bin gespannt, ob es wieder Härtefallhilfen geben wird. Die andere Lösung sind dann Schliessungen. Das wäre katastrophal für die Wintersaison.

Du bist nahe bei den Leistungsträgern, wie fühlen sie sich?
Ich spüre eine grosse Verunsicherung. Es gibt zwei Parteien. Jene, die noch Verträge für ein weiteres Jahr hat. Diese schaut relativ gelassen in die Zukunft. Aber auch hier ist man damit konfrontiert, dass es bald weniger Strom geben könnte. Und dann gibt es jene Partei, die es richtig hart trifft. Diese hat Existenzangst. 

«Digitalisierung war schon immer
wichtig für uns. Ich glaube,
unsere Mitbewerber beobachten genau, 
was wir wieder Neues bringen.»

Zu einem ganz anderen Thema: Wir haben letztes Jahr als erste Tourismusdestination eine Web-App herausgebracht. #Aussichtsmeister wurde von «Best of Swiss Apps» zweimal mit Bronze ausgezeichnet. Hat die DDO in der Digitalisierung eine Vorreiterrolle?
Digitalisierung war schon immer wichtig für uns. Ich glaube, unsere Mitbewerber beobachten genau, was wir wieder Neues bringen. Handkehrum: Das Digitalisierungstempo ist enorm. Marketing und Kommunikation, B2B und B2C, alles hat sich vollkommen verändert. Im Vergleich zu früher sind Quantensprünge passiert. Genau deshalb denke ich, dass wir weiterhin unseren Digitalisierungsfokus haben müssen, sonst sind wir schnell weg vom Fenster. 

Ein Blick auf die Jahresrechnung zeigt: Hier war ein Minus von CHF 400'000 budgetiert. Nun ist es ein Überschuss von CHF 500'000. Waren wir zu pessimistisch oder haben wir einfach schlecht kalkuliert?
Niemand konnte voraussehen, wie das Geschäftsjahr 2021/22 ablaufen wird. Ein Erfolgsfaktor war, dass die Schweizer Skigebiete geöffnet waren. Im Ausland waren sie geschlossen oder nur mit sehr harten Massnahmen zugänglich. Dies führte dazu, dass die Schweizerinnen und Schweizer in der Schweiz geblieben sind und vermehrt Ausländer in die Schweiz kamen. Für unsere Destination bedeutete dies drei Millionen Logiernächte – ein neuer Rekord. Die vielen Logiernächte generierten mehr Einnahmen, deshalb stehen wir jetzt so gut da. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass wir vor zwei Jahren eine halbe Million Franken Minus gemacht hatten. Dies hat sich jetzt ausgeglichen.

Zum Abschluss eine sportliche Frage, weil wir hier im schönsten Stadion der Welt stehen: Wer wird Schweizer Meister?
Da gibt es nur eine Antwort: der HCD!